Amount of Verses: 22

85:1 85:2 85:3 85:4 85:5 85:6 85:7 85:8 85:9 85:10 85:11 85:12 85:13 85:14 85:15 85:16 85:17 85:18 85:19 85:20 85:21 85:22

بسم الله الرحمن الرحيم
85:1والسماء ذات البروجUnd der Himmel mit den Türmen

Der Einstieg dieser Sure beginnt mit einem majestätischen Bild: Der Himmel trägt Türme – gewaltige, aufragende Strukturen, wie sie heute durch Aufnahmen des Hubble-Teleskops sichtbar geworden sind, etwa in den „Säulen der Schöpfung“. Diese Erscheinungen sind nicht nur Staub- und Gasformationen – sie wirken wie architektonische Zeichen im kosmischen Raum.

Das Wort „بروج“ (burūj) wird auch in 4:78 verwendet, wo es „Türme“ in einem irdischen Sinn beschreibt – als Orte, an denen man sich sicher wähnt. Doch hier am Himmel bekommen sie eine neue Bedeutung: Sie sind keine Schutzräume, sondern Hinweise. Hinweise darauf, dass eine größere Ordnung sichtbar wird – ein Zeichen für etwas, das noch kommt.

Wenn im nächsten Vers vom versprochenen Tag die Rede ist, fügt sich das Bild zusammen: Die Türme am Himmel sind Zeichen für diesen Tag. Ihre Entdeckung – gerade in unserer Zeit – lässt ahnen, dass das, was angekündigt ist, näher rückt. Der Himmel schweigt nicht – er zeigt. Und wer zu sehen bereit ist, erkennt in diesen Himmelsstrukturen mehr als Schönheit: eine Botschaft.

85:2واليوم الموعودUnd der versprochene Tag

Und der versprochene Tag. Diese Wendung trägt Tiefe: Es geht nicht um irgendeinen Tag – sondern um den Tag, der versprochen wurde. Versprochen von der höchsten Instanz – von Gott selbst. Und was Gott verspricht, ist gewiss. Der Ausdruck signalisiert: Es handelt sich um einen festgesetzten Zeitpunkt, einen Wendepunkt, der mit absoluter Sicherheit eintreten wird.

Im Licht des vorangegangenen Verses wird klar: Der Himmel mit seinen Türmen ist ein Zeichen für diesen Tag. So wie in den Säulen der Schöpfung der Prozess von Entstehung und Auflösung sichtbar wird, so verweist dieser „versprochene Tag“ auf einen Moment, in dem sich alle Strukturen auflösen oder offenbaren. Es ist ein Tag der Enthüllung, der Gerechtigkeit – nicht als Drohung, sondern als unvermeidbare Wahrheit.

Dass dieser Tag „versprochen“ ist, bedeutet auch: Er ist Teil eines größeren Plans. Nicht aus Zufall, nicht aus Willkür, sondern aus Notwendigkeit. Es ist der Tag, an dem Maßstab und Wirkung zusammengeführt werden – eine Korrektur des Ungleichgewichts. Wer heute das Unsichtbare verlacht, wird an diesem Tag mit seiner Realität konfrontiert. Und wer jetzt schon auf diesen Tag ausgerichtet lebt, erkennt darin nicht Furcht, sondern Bestätigung.

85:3وشاهد ومشهودUnd ein Zeuge und ein Bezeugtes

Was nun folgt, baut auf der bisherigen Struktur auf: Etwas war verborgen – nun wird es bezeugt. Wie die Türme im Himmel, die über Jahrtausende für das menschliche Auge unsichtbar blieben, bis sie durch moderne Technologie offenbart wurden, so gibt es auch auf der menschlichen Ebene verborgene Realitäten, die nun ins Licht treten.

Der Zusammenhang ist deutlich: Es gibt einen Moment, in dem das Unsichtbare nicht länger verborgen bleibt. Was im Inneren geschah – an Taten, an Haltungen, an Entscheidungen – tritt hervor. Nicht zufällig, sondern in einer kosmischen Ordnung. So wie die Säulen der Schöpfung einst nur existierten, ohne erkannt zu werden, so waren auch manche Menschen, Handlungen oder Systeme lange unbezeugt – doch nicht unbemerkt.

In dieser Spannung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen Beobachter und Ereignis, liegt ein zentrales Prinzip: Die Wirklichkeit zeigt sich – früher oder später. Und wenn sie sich zeigt, geschieht das nicht anonym. Sie wird bezeugt, sie wird erkannt – und damit verantwortlich gemacht. Denn die Zeit der Unsichtbarkeit ist keine Zeit der Bedeutungslosigkeit.

85:4قتل أصحب الأخدودGetötet wurden die Angehörigen des Grabens

Getötet wurden – innerlich abgestorben – die Angehörigen des Grabens. Es ist kein physischer Tod gemeint, sondern ein geistiger Zustand: Diese Menschen haben ihr inneres Leben verloren – ihre Empathie, ihre Fähigkeit zur Umkehr, ihre Offenheit für Wahrheit. Sie handeln, aber nicht mehr aus Bewusstsein, sondern aus Leere. Ihr Denken, Fühlen und Entscheiden ist abgeschnitten von jeder tiefen Regung.

Der Graben beschreibt den Ort, an dem sie lebten: eine Region, gekennzeichnet durch Erdsenkungen, Brüche, tiefe Spalten – vielleicht auch durch unterirdische Ressourcen wie Brennstoffe oder Treibmaterial. Es ist kein Name, sondern ein geologisches oder strukturelles Merkmal. In dieser Umgebung – reich an Energie, aber innerlich ausgebrannt – entfaltet sich das Geschehen.

Dass dieses Bild im Rahmen eines „Zeichens“ genannt wird, deutet darauf hin: Es handelt sich nicht nur um eine Episode der Vergangenheit. Es kann eine Beschreibung gegenwärtiger Strukturen sein – oder ein Hinweis auf das, was sich in der Zukunft entfalten wird. Der Graben steht damit exemplarisch für jede Zivilisation, die auf äußeren Ressourcen aufbaut, aber innerlich zerfällt.

85:5النار ذات الوقودDas Feuer mit dem Treibstoff in sich

Das Feuer – mit dem Treibstoff in sich. Es ist mehr als ein physischer Brand. Dieses Feuer besitzt verschiedene Stufen: vom sichtbaren Flammenmeer bis zu unsichtbaren energetischen Prozessen. In ihm steckt nicht nur Zerstörung, sondern auch Bewegung, Druck, Reibung – alles, was Spannungen entfacht. Es ist ein System, das sich aus sich selbst speist – wie eine Struktur, die sich ständig durch innere Reibung erhitzt.

Auch Energieformen wie Hitze, ideologische Aufladung oder politische Spannung sind Teil dieses Feuers. Die Formulierung „mit dem Treibstoff in sich“ bedeutet: Der Brand braucht keinen äußeren Anstoß mehr – die Umgebung, die Denkweise, die Verhältnisse sind selbst zur Brennkammer geworden. Es ist ein Zustand, in dem sich Gewalt, Kontrolle oder Zerstörung aus den inneren Bedingungen des Systems speisen.

So zeigt sich: Das Feuer ist nicht nur ein Symbol für Vernichtung – es ist ein Prozess, der in unterschiedlichen Ebenen wirkt. Von der psychologischen Erregung bis zur strukturellen Hitze einer ganzen Gesellschaft. Wer sich darin bewegt, spürt es vielleicht nicht sofort – aber er ist Teil einer Hitzezone, die auf Dauer alles verzehrt, was lebendig war.

85:6إذ هم عليها قعودWährend sie über ihm sesshaft sind

Jetzt wird deutlich, wer die Träger dieses Feuers sind: Sie sind nicht passiv, sondern sesshaft über ihm. Das bedeutet: Sie kontrollieren es, sie beobachten es, sie wachen darüber. Es ist kein unkontrolliertes Chaos – sondern ein bewusst organisiertes System. Sie wohnen über dem Feuer, als wären sie seine Betreiber – seine Verwalter.

Dieses Bild zeigt eine Machtstruktur: Jene, die über dem Feuer thronen, haben es erschaffen und aufrechterhalten. Sie sind nicht überrascht vom Leid – sie verwalten es. Sie sitzen nicht zufällig dort, sondern aus Überzeugung, vielleicht sogar mit Stolz. Das Feuer ist Teil ihrer Ordnung – ein Instrument, mit dem sie Einfluss, Angst oder Kontrolle sichern.

„Sesshaft“ meint dabei mehr als körperliche Anwesenheit. Es bedeutet: Sie sind geistig verwurzelt in dieser Haltung. Sie leben nicht nur im System – sie verkörpern es. Das Feuer ist Ausdruck ihrer inneren Struktur: einer Haltung, die Leid erzeugt, aber nicht mehr wahrnimmt. So wird sichtbar, wie Unrecht nicht zufällig entsteht, sondern durch bewusste Instandhaltung.

85:7وهم على ما يفعلون بالمؤمنين شهودUnd dabei Zeugen dessen, was sie den Gläubigen antun

Nun wird ein entscheidender Aspekt offengelegt: Sie sind nicht nur Täter – sie sind auch Zeugen ihres eigenen Handelns. Sie sehen, was sie den Gläubigen antun. Nicht im Verborgenen, nicht aus Distanz, sondern mit offener, absichtlicher Präsenz. Sie sind anwesend, wenn Leid geschieht – und sie sehen es ohne Mitgefühl.

Das Wort „Zeugen“ hat hier eine doppelte Schärfe: Einerseits zeigt es, dass sie das Unrecht bewusst und gezielt ausführen – nichts geschieht zufällig oder aus Unwissenheit. Andererseits wird gerade durch dieses Zeugnis ihr eigenes Tun dokumentiert. Sie schreiben ihr Urteil mit den eigenen Augen. Was sie sehen, wird nicht vergessen – es wird ihnen selbst zugewiesen.

Die „Gläubigen“, die hier erwähnt werden, sind Menschen, deren Glaube nicht nur äußerlich, sondern innerlich verwurzelt ist – in Integrität, Wahrheit, Vertrauen. Das Leid, das ihnen zugefügt wird, ist Ausdruck einer gezielten Unterdrückung des inneren Lichts. Wer dabei zusieht, leugnet nicht nur den anderen – sondern auch das eigene Menschsein.

85:8وما نقموا منهم إلا أن يؤمنوا بالله العزيز الحميدUnd nichts lässt sie gegen diese grollen, als dass sie an Gott, den Ehrenvollen, den Lobwürdigen, glauben

In diesem Vers offenbart sich das eigentliche Motiv der Gewalt: Nicht politische Rebellion, nicht Bedrohung – sondern reiner Glaube. Die Gläubigen werden nicht verfolgt, weil sie gefährlich sind, sondern weil sie an Gott glauben – an den Ehrenvollen, den Lobwürdigen. Das ist der wahre Grund ihres Leids: eine innere Haltung, die sich nicht beugen lässt.

Diese Formulierung entlarvt den Kern jeder Unterdrückung religiöser Integrität: Es ist der Hass auf Unabhängigkeit des Gewissens. Denn wer an Gott glaubt – in seiner Ehre und Erhabenheit – stellt sich bewusst nicht unter die Machtstrukturen dieser Welt. Der Glaube an den „Ehrenvollen“ ist eine Absage an jede erzwungene Unterwerfung. Und genau das provoziert jene, die Kontrolle suchen.

Es zeigt sich: Der Glaube selbst ist ein Angriff – nicht auf Menschen, sondern auf ihre Systeme, wenn diese auf Angst, Lüge oder Machtmissbrauch beruhen. Der Vers macht deutlich, wie gefährlich innere Freiheit für äußere Macht ist. Denn der, der sich vor Gott verneigt, kann vor keinem anderen mehr knien.

85:9الذى له ملك السموت والأرض والله على كل شىء شهيدDessen Königreich die Himmel und die Erde sind, und Gott ist Zeuge über alles

Jetzt wird die Perspektive erweitert: Der Glaube der Verfolgten richtet sich auf den Einen, dessen Königreich Himmel und Erde umfasst. Es ist nicht irgendein spiritueller Rückzug, sondern ein klares Bewusstsein: Die höchste Autorität gehört Gott allein. Und genau diese Wahrheit sprengt die Illusionen irdischer Herrschaft.

Die Formulierung „dessen Königreich die Himmel und die Erde sind“ ist eine bewusste Gegenüberstellung: Auf der einen Seite stehen Systeme, die Macht durch Ressourcen, Kontrolle oder Gewalt sichern – auf der anderen Seite steht Gott, dessen Herrschaft nicht gemacht, sondern gegeben ist. Nicht durch Verträge, nicht durch Waffen – sondern durch die Schöpfung selbst.

Und nicht nur das: Gott ist Zeuge über alles. Das macht jede Ausrede zunichte. Es gibt kein „wir wussten es nicht“, kein „es war nötig“, kein „wir haben nur gehorcht“. Jede Tat, jede Absicht, jede Haltung – ist bekannt. Und wer in einem solchen System handelt – ob als Täter oder als Mitwirkender – weiß, dass kein Teil des Geschehens unbeobachtet bleibt.

85:10إن الذين فتنوا المؤمنين والمؤمنت ثم لم يتوبوا فلهم عذاب جهنم ولهم عذاب الحريقGewiss, für diejenigen, die die gläubigen Männer und Frauen in Versuchung brachten und danach keine Reue zeigten, ist die Qual der Hölle und die Qual des Feuers

Hier wird die Konsequenz klar benannt – doch nicht einfach als Strafe, sondern als logische Folge einer Haltung. Wer gläubige Männer und Frauen in Versuchung bringt – also sie durch Druck, Angst, Manipulation oder Gewalt dazu zwingt, ihren Glauben aufzugeben oder zu unterdrücken – tritt bewusst in eine Linie, die gegen die Wahrheit und gegen das Leben selbst gerichtet ist.

Das Wort „Versuchung“ (فتنة) bedeutet in diesem Zusammenhang nicht Verlockung, sondern Prüfung durch Leid, Unterdrückung oder Zwang. Es beschreibt das gezielte Brechen eines Menschen – seines Glaubens, seiner Integrität, seiner inneren Klarheit. Und wer das tut – ohne danach Umkehr zu zeigen – der wählt einen Weg, der ins Feuer führt. Nicht nur metaphorisch: Die Qual ist real, innen wie außen.

Auffällig ist: Der Vers lässt einen Ausweg offen – „wenn sie Reue zeigen“. Doch gerade das haben sie nicht getan. Die Betonung liegt auf der Weigerung zur Einsicht. Nicht das Vergehen allein führt zur Qual, sondern das Beharren darin. Denn wo keine Reue ist, kann sich auch nichts wandeln. Die Qual der Hölle ist deshalb nicht nur Strafe, sondern das Festhalten an einer Haltung, die sich selbst zerstört.

85:11إن الذين ءامنوا وعملوا الصلحت لهم جنت تجرى من تحتها الأنهر ذلك الفوز الكبيرGewiss, für diejenigen, die glaubten und Rechtschaffenes taten, sind Gärten, unter denen Flüsse verlaufen. Dies ist der große Gewinn

Nun wird die Gegenseite sichtbar – nicht als Kontrast zur Strafe, sondern als Antwort auf eine Haltung der Treue. Diejenigen, die glaubten und dabei rechtschaffen handelten, sind nicht einfach Gläubige im Bekenntnis – sondern Menschen, deren innere Überzeugung sich in Taten des Aufbaus, der Klarheit und Gerechtigkeit zeigt.

Sie werden nicht nur belohnt, sondern empfangen etwas, das in sich vollkommen ist: Gärten, unter denen Flüsse verlaufen – ein Bild für innere Ruhe, Versorgung, Bewegung und Tiefe. Die Flüsse stehen für Verbindung, Kreislauf und Leben. Es ist kein statisches Paradies, sondern ein lebendiger Raum, der aus dem Eigenen heraus weiterfließt.

Und das Entscheidende: „Dies ist der große Gewinn.“ Nicht Reichtum, nicht Macht, nicht Überlegenheit – sondern das Erreichte, das bleibt. Es ist ein Zustand, der nicht genommen werden kann, weil er auf Wahrheit gründet. Während die Verfolger sich selbst in Brand setzen, finden die Standhaften inmitten der Bedrängnis eine Quelle, die ewig fließt.

85:12إن بطش ربك لشديدGewiss, der Niederschlag deines Herrn ist wahrlich hart

Hier ändert sich der Ton – nicht in Widerspruch zum Vorherigen, sondern als Erinnerung an die Ernsthaftigkeit göttlicher Gerechtigkeit. Der Ausdruck „der Niederschlag deines Herrn“ (بطش ربك) steht für das Eingreifen Gottes – nicht willkürlich, sondern als Antwort auf anhaltende Ungerechtigkeit. Und dieses Eingreifen ist „hart“ – durchdringend, unwiderruflich, präzise.

Es ist keine blinde Gewalt. Es ist das, was folgt, wenn jede Warnung missachtet, jede Wahrheit unterdrückt und jeder Ruf zur Umkehr abgelehnt wurde. Gottes Niederschlag ist nicht aus Emotion geboren, sondern aus Prinzip. Er trifft nicht zufällig, sondern genau dort, wo Macht missbraucht, Licht ausgelöscht, und Unrecht institutionell gemacht wurde.

Dieser Vers ruft nicht zur Angst auf, sondern zur Klarheit: Es gibt einen Punkt, an dem sich Wahrheit durchsetzt – nicht durch Diskussion, sondern durch Wirklichkeit. Wer Gottes Eingreifen ignoriert, weil es scheinbar ausbleibt, verkennt die Tiefe seines Plans. Denn wenn es geschieht, bleibt nichts stehen.

85:13إنه هو يبدئ ويعيدGewiss, er ist es, der anfangen und wiederholen lässt

Dieser Vers macht deutlich, dass Gottes Eingreifen kein punktuelles Ereignis ist – sondern Teil eines umfassenden Prinzips. Er ist es, der anfangen und wiederholen lässt. Das bedeutet: Gott ist Ursprung wie Rückkehr. Alles beginnt bei Ihm – und alles kehrt zu Ihm zurück. Er initiiert nicht nur – Er vollendet.

Diese Formulierung stellt einen tiefen Zusammenhang her: Geschichte ist nicht willkürlich. Wenn Gott eingreift, dann nicht zum ersten Mal. Was wie ein neues Ereignis erscheint – sei es ein Fall, eine Wende, eine Entlarvung – ist oft eine Wiederholung eines Musters. Ein Zyklus, in dem sich Wahrheit und Lüge begegnen, bis sich zeigt, was Bestand hat.

Im Kontext der Sure bedeutet das: Das, was im Graben geschieht – die Unterdrückung, die Kontrolle, die Gewalt – ist nicht neu. Und auch der Niederschlag Gottes ist kein Einzelfall. Wer glaubt, Gott schweige, verkennt, dass Sein Wiederholen ein Teil der göttlichen Ordnung ist. Was einmal begann, wird durch Wiederholung zur endgültigen Wirklichkeit.

85:14وهو الغفور الودودUnd er ist der Vergebende, der Liebevolle

Nach der Darstellung göttlicher Macht und des Eingreifens folgt nun ein Vers, der eine unerwartete Wendung bringt – aber keine Gegensätzlichkeit, sondern eine Ergänzung. Gott ist nicht nur der Richter und der Wiederholende – Er ist auch der Vergebende, der Liebevolle.

Gerade diese Kombination ist entscheidend: Vergebung und Liebe stehen nicht im Gegensatz zur Gerechtigkeit, sondern sind ihre tiefste Form. Die göttliche Vergebung ist kein Verzicht auf Konsequenz – sie ist die Möglichkeit zur Wandlung. Und Seine Liebe ist nicht blind, sondern gründet auf Wahrheit, Nähe und Verständnis.

Im Kontext der Sure ist das bedeutsam: Der Glaube, für den die Gläubigen leiden, ist keine Last, sondern Ausdruck einer Beziehung. Gott wird nicht nur angebetet – Er liebt. Und diese Liebe ist nicht abstrakt, sondern nah, heilend, tragend. Wer sich Ihm zuwendet, findet nicht Härte, sondern Annahme. Nicht Strafe, sondern Heimkehr.

85:15ذو العرش المجيدMit dem ruhmvollen Thron

Wenn hier von „dem ruhmvollen Thron“ die Rede ist, dann offenbart sich nicht nur Gottes Erhabenheit, sondern das Zentrum aller Ordnung. Der Thron (عرش) steht im Quran für das höchste Maß, den Ort, von dem aus Struktur, Richtung und Bewahrung ausgehen. Und das Attribut „ruhmvoll“ (المجيد) zeigt: Diese Herrschaft ist nicht stumm oder verborgen, sondern glänzt, durchdringt, strukturiert.

Im Vergleich zum ersten Vers – „der Himmel mit seinen Türmen“ – wird eine tiefere Verbindung sichtbar: Beides sind Ebenen der Struktur. Die Türme stehen für sichtbare Ordnung im Raum – die von Hubble entdeckten Säulen, die wir „Säulen der Schöpfung“ nennen, sind ein Beispiel. Sie sind Manifestationen, Hinweise, Spiegelungen einer höheren Wirklichkeit.

Der Thron aber ist die Quelle dieser Ordnung. Das, was wir am Himmel sehen – die Architektur der Galaxien, die Gravitation, das Licht, die Säulen – ist nicht ziellos, sondern geordnet unter einem Zentrum: dem Thron. Er ist kein Sitz im räumlichen Sinn, sondern das Prinzip der göttlichen Ordnung selbst.

So ergibt sich ein vollständiges Bild:
Was der Mensch durch Technik sichtbar gemacht hat (die Türme), weist zurück auf das, was ewig trägt (der Thron). Und weil dieser Thron „ruhmvoll“ ist, ist die gesamte Schöpfung durchzogen von Spuren dieses Ruhms. Wer also in den Himmel schaut, sieht nicht nur Materie – sondern die Signatur Gottes.

85:16فعال لما يريدAusführend dessen, was er möchte

Mit diesem Vers wird noch einmal deutlich: Gottes Thron ist nicht symbolisch – er ist wirksam. Der, der über allem steht, führt auch aus. Es bleibt nicht bei einer abstrakten Größe oder einem ruhmvollen Titel – Gott handelt. Und zwar nicht unter Zwang, nicht auf Bitte, nicht nach äußeren Bedingungen – sondern gemäß Seinem eigenen Willen.

„Ausführend dessen, was Er möchte“ bedeutet: Nichts kann Ihn aufhalten, nichts kann Ihn überstimmen. Doch dieses „Möchte“ ist kein Launenwunsch, sondern Ausdruck von vollkommener Weisheit, umfassendem Wissen und reiner Absicht. Das, was Er tut, hat Maß, Ziel und Sinn – auch wenn es aus menschlicher Perspektive manchmal verborgen bleibt.

In Verbindung mit dem „ruhmvollen Thron“ ist klar: Der Thron ist nicht passiv, er ist Quelle von Bewegung. Die Ordnung, die der Mensch im Universum erkennt, die Umwälzungen, die auf der Erde geschehen, auch das Eingreifen in Unrecht – sie sind nicht außerhalb Seines Wollens. Es zeigt sich: Gott ist nicht nur Schöpfer – Er ist auch der, der eingreift.

85:17هل أتىك حديث الجنودIst dir etwa die Erzählung über die Soldaten zugekommen

Die Erwähnung der „Soldaten“ ist keine Ablenkung vom Thema der Sure – sie ist eine gezielte Rückbindung an den Vers 85:4, wo von den „Angehörigen des Grabens“ gesprochen wurde. Die rhetorische Frage ist damit mehr als Erinnerung: Sie ist Warnung durch Vergleich.

Denn unmittelbar im nächsten Vers folgen die Namen: Pharao und Thamud. Beide stehen im Quran exemplarisch für zivilisatorische Hochkulturen, die ihre Macht nicht zum Schutz, sondern zur Unterdrückung nutzten. Sie verfügten über Soldaten, über Machtmittel, über technische Fähigkeit – und dennoch wurden sie nicht bewahrt.

Die Verbindung ist deutlich: Auch die heutigen „Angehörigen des Grabens“ – ob das nun ein realer Ort ist oder ein Symbol für ein modernes System, das auf Öl, Kontrolle und Gewalt basiert – setzen ihre „Soldaten“ ein. Nicht unbedingt Soldaten im traditionellen Sinne, sondern jede Form von strukturierter Macht: militärisch, wirtschaftlich, medial, ideologisch.

Gott sagt: Diese Geschichte wiederholt sich – und sie endet immer gleich. Wer meint, sich durch Machtstrukturen über göttliche Ordnung hinwegsetzen zu können, steht in der Linie von Pharao und Thamud. Und ihre „Erzählung“ ist ein Verweis darauf, dass auch der Graben nicht unberührt bleibt.

85:18فرعون وثمودPharao und Thamud

Mit der Nennung von Pharao und Thamud zieht die Sure eine doppelte Linie – eine moralische wie geografische. Pharao steht exemplarisch für Staatsmacht, für militärische Struktur, für das Denken in Kontrolle und Hierarchie. Thamud repräsentiert zivilisatorischen Hochmut: ein Volk mit architektonischer Meisterschaft, aber innerer Verstockung.

Diese Namen sind aber nicht nur Symbole – sie sind geografisch verortet. Pharao verweist auf Ägypten, Thamud auf das Gebiet zwischen dem heutigen Saudi-Arabien und Jordanien, insbesondere al-Ḥijr (Madā’in Ṣāliḥ). Die Sure gibt damit einen doppelten Hinweis: Das Muster, das zur Zerstörung dieser Völker führte, wiederholt sich nicht nur moralisch, sondern auch räumlich.

Im Zusammenhang mit den „Angehörigen des Grabens“ ist das eine deutliche Botschaft: Es handelt sich nicht um eine bloße historische Erzählung, sondern um ein Szenario, das in der Gegenwart oder nahen Zukunft wieder auftaucht. Ein Ort, der durch Rohstoffe wie Öl dominiert wird, möglicherweise in der geografischen Nähe jener beiden Zivilisationen liegt – und ähnliche Strukturen der Unterdrückung aufweist.

Gott erinnert durch diese Verse daran: Die Geschichte wiederholt sich nicht blind, sondern bewusst – als Warnung. Wer glaubt, Macht, Militär und Technik könnten ihn immun machen gegen göttliche Ordnung, steht in der Linie von Pharao und Thamud. Und wie sie – so auch jene, die heute glauben, unbeobachtet zu bleiben.

85:19بل الذين كفروا فى تكذيبDoch diejenigen, die ableugneten, beharren im Leugnen

Nach dem historischen und geografischen Bezug folgt nun eine Feststellung, die ins Persönliche und Gegenwärtige zurückführt: Es gibt Menschen, die – trotz aller Zeichen, trotz aller Erinnerungen, trotz aller Möglichkeiten – im Leugnen beharren. Es ist kein einmaliges Verkennen, sondern ein bewusstes Festhalten an einer inneren Abwehrhaltung.

Das arabische Wort „كذبوا“ weist auf aktives Leugnen hin – nicht aus Unwissen, sondern aus Verweigerung gegenüber dem, was klar ist. Diese Haltung ist nicht nur ein intellektuelles Problem, sondern ein Zustand des Herzens: Wer sich der Wahrheit dauerhaft verschließt, beginnt, sie innerlich zu bekämpfen. Aus Ignoranz wird Widerstand.

Im Kontext der Sure ist das besonders eindringlich: Die Zeichen am Himmel (Vers 85:1), die Geschichte der Unterdrückung (Vers 85:4), die Erinnerung an frühere Mächte (Pharao, Thamud) – sie alle rufen zur Einsicht auf. Wer trotzdem leugnet, tut das nicht aus Mangel an Wissen, sondern aus Willen zur Verneinung.

Und das Tragische daran: Solches Leugnen ist nicht neutral – es ist aktiv. Es richtet sich gegen das Leben, gegen Gerechtigkeit, gegen Wahrheit. Deshalb bleibt es nicht folgenlos.

85:20والله من ورائهم محيطUnd Gott ist hinter ihnen, umfassend

Dieser letzte Vers ist wie ein stiller Blitz: kurz, aber durchdringend. Während die Ableugner meinen, unabhängig, unangreifbar, unbeobachtet zu sein, zeigt sich hier das Gegenteil: Gott ist hinter ihnen – umfassend. Das Bild ist eindeutig: Sie glauben, nach vorne zu gehen – doch hinter ihnen ist Gott.

„Hinter ihnen“ bedeutet nicht räumlich – sondern jenseits ihrer Wahrnehmung. Sie schauen voraus, planen, kontrollieren, verdrängen – aber das, was sie nicht bedenken, ist das, was sie letztlich einholt. Es ist nicht Rache – sondern Wirklichkeit, die unausweichlich ist.

„Umfassend“ (محيط) bringt es auf den Punkt: Nichts entgeht Ihm. Nicht ihr Handeln, nicht ihr Denken, nicht ihre Absichten. Die Ableugnung, so aktiv sie auch ist, bewegt sich in einem Raum, der längst von Gott durchdrungen ist. Es gibt keinen Ort, an dem man sich der Wahrheit entziehen kann – auch nicht durch Ignoranz oder Macht.

Im Zusammenhang mit der Sure ist das der endgültige Rahmen: Von den Sternen und Türmen des Himmels bis zu den Intrigen im Graben, von der Geschichte Pharaos bis zum Trotz der Gegenwart – alles geschieht in einem Raum, den Gott umfasst. Und das ist keine Drohung – es ist eine tiefere Realität.

85:21بل هو قرءان مجيدDoch! Es ist ein ruhmvoller Quran

Mit dem Wort „Doch“ beginnt dieser abschließende Vers nicht einfach eine neue Aussage, sondern korrigiert eine Perspektive. Es ist eine Antwort auf das Leugnen derer, die trotz aller Zeichen und Warnungen beharrlich ableugneten. Was sie für Lüge halten, ist in Wirklichkeit gewiss wahr: „Es ist ein ruhmvoller Quran.“

Dieses „Doch“ trägt den Ton der Aufdeckung in sich: Sie sehen, hören, lesen – und leugnen. Aber was sie leugnen, ist nicht belanglos. Es ist der Quran selbst – das ruhmvolle, erhabene Wort, das aus der höchsten Ordnung stammt. Das Wort „ruhmvoll“ (مجيد) erscheint hier ein zweites Mal in der Sure, nach seiner Nennung in Bezug auf Gottes Thron (85:15). Diese Verbindung ist kein Zufall.

So wird deutlich: Was vom Thron ausgeht, ist dasselbe, was im Quran offenbart wird. Es ist nicht einfach ein Text – es ist die Spiegelung des göttlichen Maßes in der Sprache. Wer ihn ablehnt, lehnt nicht ein Buch ab – sondern die Wahrheit selbst.

Der Vers schließt die Sure mit einer machtvollen Erinnerung: Die Realität des Quran steht über jeder Ableugnung. Sie kann nicht ausgelöscht, entkräftet oder verdrängt werden. Was sie leugnen, bleibt – und es wird sich zeigen.

85:22فى لوح محفوظIn einer bewahrten Tafel

Dieser abschließende Vers gibt dem zuvor Gesagten eine letzte, unumstößliche Tiefe: Alles, was in dieser Sure offenbart wurde – die Zeichen am Himmel, das Verbrechen im Graben, die Erwähnung Pharaos und Thamuds, das Leugnen und die Wahrheit des Quran – ist festgehalten „in einer bewahrten Tafel“ (في لوح محفوظ).

Diese Tafel steht nicht für ein irdisches Buch, sondern für eine überzeitliche Realität. Sie ist nicht veränderbar, nicht zerstörbar, nicht dem menschlichen Zugriff ausgeliefert. Sie bewahrt das Maß, den Ursprung und die Ordnung der Wirklichkeit. Alles, was geschieht – sei es durch Unterdrücker oder durch Glaubende – ist darin eingezeichnet.

Was das besonders macht: Diese Realität ist nicht verhandelbar. Wer den Quran leugnet, leugnet nicht etwas Vorläufiges, sondern etwas, das in dieser Tafel bereits verankert ist. Der Quran selbst ist also Teil eines ewigen Systems, einer Struktur, die weder durch Macht noch durch Schweigen verändert werden kann.

Die Sure 85, al-Burūǧ entfaltet eine dramatische und durchdringende Botschaft: Sie beginnt mit einem Zeichen am Himmel – den Türmen, den Säulen der Schöpfung – und endet mit der Erinnerung, dass alles in einer bewahrten Tafel festgeschrieben ist. Dazwischen liegt die Geschichte eines Volkes, das unterdrückt, quält und das göttliche Maß verlacht – während es selbst auf einen Abgrund zurennt.

Mit der Nennung von Pharao und Thamud wird deutlich: Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Die Struktur wiederholt sich: Völker, die meinen, mit Macht, Öl, Militär oder Kontrolle über andere die Wahrheit unterdrücken zu können – sie stehen in der Linie derer, die vergangen sind. Und wie diese, werden auch sie nicht entkommen.

Die Sure ist deshalb mehr als ein historischer Bericht – sie ist Warnung. Eine Warnung an jede Gesellschaft, jedes System, das glaubt, es könne die Wahrheit ignorieren und Menschen verfolgen, ohne Konsequenz. Gott ist umfassend. Seine Wirklichkeit ist sichtbar im Himmel, spürbar auf Erden – und unausweichlich in der Tafel.

5991,5992,5993,5994,5995,5996,5997,5998,5999,6000,6001,6002,6003,6004,6005,6006,6007,6008,6009,6010,6011,6012,
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