| بسم الله الرحمن الرحيم | |
| 80:1 | عبس وتولىEr verzog das Gesicht und kehrte sich ab Die Sure beginnt mit einer konkreten Handlung: „Er verzog das Gesicht und kehrte sich ab.“ Es ist eine Beschreibung von Abwehr – körperlich sichtbar, nicht nur innerlich gemeint. Das Verziehen des Gesichts steht für Ablehnung, Missfallen, Unwillen, vielleicht auch Ungeduld. Das Abkehren signalisiert: Die Zuwendung galt jemand anderem, nicht dem, der sich gerade näherte. Wichtig ist, dass keine Namen genannt werden – die Handlung steht im Zentrum, nicht die Person. Dadurch wird der Fokus auf das Verhalten gelegt: Es geht nicht darum, wer es war, sondern was diese Reaktion über Prioritäten aussagt. In einer Situation, in der jemand mit echtem Interesse kommt, zeigt sich Ablehnung – ein Kontrast, der im nächsten Vers noch deutlicher wird. |
| 80:2 | أن جاءه الأعمىAls der Blinde zu ihm kam Nun wird der Auslöser der Reaktion genannt: „Als der Blinde zu ihm kam.“ Es handelt sich um eine Person mit Einschränkung – doch das Entscheidende ist nicht seine körperliche Situation, sondern seine innere Haltung. Er kommt, er sucht, er nähert sich. Das ist ein Akt der bewussten Entscheidung: Der Blinde kommt nicht zufällig, sondern mit dem Wunsch nach Erkenntnis. Dieser Kontrast ist deutlich: Derjenige, der sich abwandte, reagierte mit sichtbarem Unwillen auf jemanden, der mit aufrichtigem Interesse kam. Gerade weil der Blinde äußerlich benachteiligt erscheint, wird seine innere Haltung umso bedeutender. Er steht für einen Menschen, der trotz Begrenzung den richtigen Weg sucht – während die Reaktion darauf Zurückweisung ist. Die Bewertung dieses Verhaltens folgt unmissverständlich in den nächsten Aussagen. |
| 80:3 | وما يدريك لعله يزكىUnd was lässt dich wissen, ob er sich läutern würde? Die Frage stellt die Grundlage des Verhaltens infrage. Es hätte sein können, dass genau dieser Mensch offen war für Läuterung – doch das wurde übersehen. Die Möglichkeit, dass ein Suchender durch Begegnung und Gespräch eine grundlegende innere Wendung erfährt, wurde nicht in Betracht gezogen. Diese Haltung offenbart eine Fehleinschätzung, die nicht auf Wissen, sondern auf äußerer Wahrnehmung basiert. Statt nach innerer Bereitschaft zu fragen, wurde auf äußeren Eindruck reagiert. Doch genau diese Offenheit – unabhängig von Ansehen oder Position – ist die Grundlage für das Wirken der göttlichen Botschaft. Die Kritik liegt darin, dass ein echtes spirituelles Bedürfnis unbeachtet blieb, weil es nicht als solches erkannt wurde. |
| 80:4 | أو يذكر فتنفعه الذكرىOder er gedenke, so würde das Gedenken ihm nützen Die Aussage ergänzt die vorige Kritik um eine weitere Möglichkeit: Selbst wenn keine sofortige Läuterung erfolgt, könnte das Hören der Botschaft ein inneres Gedenken auslösen – ein stiller, aber bedeutender Impuls. Es muss nicht immer eine sichtbare Umkehr stattfinden. Manchmal genügt die Erinnerung, um später Wirkung zu zeigen. Darin liegt ein zentraler Aspekt göttlicher Führung: Wirkung geschieht nicht immer unmittelbar. Ein Wort, ein Moment des Hörens kann später Frucht tragen. Die Ablehnung eines Menschen, der zuhört, nur weil kein sofortiger Wandel sichtbar ist, verkennt das Wesen der Wahrheit – sie wirkt tief, still, manchmal zeitversetzt. Genau das wurde hier übersehen. |
| 80:5 | أما من استغنىWer jedoch darauf verzichtet Nun folgt die Gegenüberstellung zu dem, der mit echtem Interesse kam. Es geht um jemanden, der sich bewusst abwendet – der die Botschaft kennt oder hört, aber sie nicht aufnimmt. Dieses Verhalten ist kein stilles Verfehlen, sondern eine Haltung: Desinteresse, vielleicht sogar Überheblichkeit. Der Kontrast ist deutlich – hier sucht niemand, sondern weicht aus. Und doch: Gerade dieser wird wahrgenommen, angesprochen, vielleicht sogar bevorzugt behandelt. Das stellt die Prioritäten in Frage. Während der Aufrichtige übersehen wurde, richtete sich die Aufmerksamkeit auf jemanden, der gar keinen Bedarf zeigt. Es entsteht eine Schieflage – das Wesentliche (die innere Bereitschaft) tritt hinter das Äußere (Status, Wirkung, Macht) zurück. |
| 80:6 | فأنت له تصدىDem gehst du zu Die Kritik wird jetzt konkret: Derjenige, der die Wahrheit ablehnt oder gleichgültig bleibt, wird trotzdem aktiv angesprochen – ihm wird nachgegangen. Es ist ein Verhalten, das von außen betrachtet entgegen der inneren Haltung der Person wirkt: Während der Empfängliche übersehen wurde, richtet sich die Zuwendung auf den, der gar nichts sucht. Das zeigt, wie schnell äußere Merkmale oder gesellschaftliche Stellung dazu verleiten können, jemanden als wichtig einzuschätzen – obwohl die eigentliche Wichtigkeit in der inneren Bereitschaft liegt. Die göttliche Botschaft aber zielt auf Herz und Offenheit, nicht auf Einfluss oder Rang. Der Vers deckt ein menschliches Muster auf: den Drang, sich an die scheinbar Bedeutenden zu wenden – selbst wenn diese sich verschließen. |
| 80:7 | وما عليك ألا يزكىDabei liegt es nicht an dir, wenn er sich nicht läutert Die Aussage stellt klar: Verantwortung endet dort, wo die Bereitschaft des Gegenübers fehlt. Wenn jemand sich der Läuterung verschließt, liegt das nicht an dem, der die Botschaft übermittelt. Der Vers trennt klar zwischen Aufgabe und Ergebnis. Die Aufgabe ist, weiterzugeben – nicht, zu erzwingen oder zu garantieren, dass jemand sich verändert. Diese Unterscheidung ist grundlegend: Es geht nicht darum, auf Reaktion zu hoffen oder sich von äußerlichem Erfolg leiten zu lassen. Der Maßstab ist nicht Wirkung, sondern Aufrichtigkeit. Wer sich abwendet, trägt selbst die Konsequenz – auch wenn er angesprochen wurde. Die Botschaft bleibt rein, unabhängig davon, ob sie angenommen oder abgelehnt wird. |
| 80:8 | وأما من جاءك يسعىWer aber eifrig zu dir kommt Jetzt wird die Gegenseite erneut in den Blick genommen – mit einer ganz anderen Haltung. Derjenige, der sich mit echtem Interesse nähert, kommt nicht zufällig, sondern bewusst. Es ist eine innere Bewegung hin zur Wahrheit, getragen von dem Wunsch, zu verstehen und sich zu läutern. Diese Art des Kommens ist nicht äußerlich aufdringlich, sondern inhaltlich bedeutsam. Die Botschaft richtet sich genau an solche Menschen: nicht nach Ansehen, sondern nach Aufrichtigkeit. Diese Haltung verdient Aufmerksamkeit – nicht, weil sie laut ist, sondern weil sie offen ist. Der Vers ruft dazu auf, den inneren Wert eines Menschen zu erkennen, unabhängig von seiner äußeren Erscheinung. Das Entscheidende ist, ob jemand sich nähert – nicht, ob er bereits Bedeutung besitzt. |
| 80:9 | وهو يخشىUnd dabei ehrfürchtig ist Die Beschreibung des Suchenden wird nun ergänzt: Es geht nicht nur darum, dass jemand sich nähert, sondern auch darum, in welcher inneren Verfassung. Ehrfurcht ist das verbindende Element zwischen Wissen und Läuterung – sie zeigt, dass der Mensch nicht bloß Informationen sucht, sondern mit einer Haltung der Demut kommt. Er erkennt an, dass die Wahrheit größer ist als er selbst. Gerade diese Kombination – die aktive Annäherung und die innere Ehrfurcht – macht ihn empfänglich. Das ist der Mensch, für den die Botschaft bestimmt ist. Er drängt sich nicht auf, erhebt keinen Anspruch – und gerade deshalb ist er offen für das, was wirklich zählt. Das wird nun zum Maßstab: Nicht äußerer Einfluss entscheidet, sondern innere Ausrichtung. |
| 80:10 | فأنت عنه تلهىVon dem bist du dann abgelenkt Hier erreicht die kritische Gegenüberstellung ihren Höhepunkt. Die Aufmerksamkeit wird demjenigen entzogen, der sie am meisten verdient – dem, der kommt und ehrfürchtig ist. Statt auf diese innere Offenheit einzugehen, wird sie übersehen. Die Ablenkung erfolgt nicht aus Feindseligkeit, sondern aus einer Fehlbewertung: Die Einschätzung, wer Aufmerksamkeit „verdient“, ist verschoben. Diese Wendung offenbart eine tiefere Botschaft: Wahre Bedeutung liegt nicht in Macht oder Einfluss, sondern in der Haltung gegenüber der Wahrheit. Wer sich mit Ehrfurcht nähert, sollte im Mittelpunkt stehen – nicht der, der sich abwendet. Diese Aussage fordert zur Korrektur des Blicks auf: Wert liegt nicht im Sichtbaren, sondern im Inneren. Und genau dort entscheidet sich, wem die Botschaft wirklich gilt. |
| 80:11 | كلا إنها تذكرةNein! Gewiss, das ist eine Erinnerung Mit dieser Wendung wird die Perspektive grundlegend verändert: „Nein!“ – ein klares Innehalten, eine Korrektur des bisherigen Denkens. Die Botschaft wird nicht auf äußere Umstände zugeschnitten, sondern sie bleibt, was sie ist: eine Erinnerung. Sie richtet sich nicht nach Ansehen oder Reaktion, sondern hat ihren eigenen Wert und ihre eigene Richtung – unabhängig davon, wie Menschen damit umgehen. Diese Erinnerung ist nicht neu, sondern etwas, das der Mensch tief in sich trägt. Sie ruft ins Bewusstsein, was schon da ist: die Wahrheit, die Verantwortung, die Ordnung. Damit wird deutlich: Die Botschaft hat nicht das Ziel, zu gefallen oder zu beeindrucken – sie soll wecken, erinnern, klären. Und genau deshalb ist sie jedem zugänglich – ob groß oder gering, sichtbar oder übersehen. |
| 80:12 | فمن شاء ذكرهWer nun will, erinnert sich daran Die Freiheit des Menschen wird betont: Wer will, erinnert sich. Es gibt keinen Zwang, keine erzwungene Annahme – nur die klare Möglichkeit. Die göttliche Botschaft ist verfügbar, offen gelegt, aber ihre Wirkung hängt von der inneren Bereitschaft des Einzelnen ab. Diese Formulierung stellt klar: Die Entscheidung liegt beim Menschen selbst. Damit wird erneut der zentrale Maßstab sichtbar: Nicht Herkunft, Status oder Sichtbarkeit zählen – sondern Wille. Der Zugang zur Wahrheit steht allen offen, doch nur wer sich ihr zuwendet, wird auch erinnert. Die Verantwortung ist nicht bei der Botschaft, sondern bei dem, der hört. Das öffnet einen Raum der Freiheit, aber auch der Verantwortung – denn das Gedenken steht bereit. |
| 80:13 | فى صحف مكرمةIn geehrten Schriftblättern Nun wird die Herkunft dieser Erinnerung beschrieben – nicht als beliebiger Text, sondern als etwas mit höchstem Rang: „in geehrten Schriftblättern“. Das, was übermittelt wird, hat einen festen Ursprung. Es ist nicht vergänglich, nicht beliebig, sondern bewahrt, festgeschrieben, ausgezeichnet. Diese „Blätter“ stehen sinnbildlich für einen geordneten, geschützten Zustand der Wahrheit – fern von menschlicher Manipulation. Die Ehrung dieser Schrift bedeutet, dass ihre Herkunft und ihr Inhalt nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Sie sind nicht menschlich verfasst, sondern von höchster Stelle geordnet. Das verleiht dem, was gesagt wird, Gewicht: Es geht nicht um Meinung, sondern um Offenbarung – nicht um Interpretation, sondern um Erinnerung an etwas, das längst in seiner höchsten Form vorliegt. |
| 80:14 | مرفوعة مطهرةEmporgehoben und gereinigt Die Beschreibung der Schriftblätter wird nun fortgesetzt: Sie sind „emporgehoben und gereinigt“. Diese Eigenschaften zeigen ihre Erhabenheit – sowohl in ihrer Herkunft als auch in ihrem Wesen. Emporgehoben bedeutet, dass sie über dem Irdischen stehen, unberührt von Unreinheit, Machtinteressen oder menschlicher Verzerrung. Sie entziehen sich jeder irdischen Abnutzung. Gereinigt verweist auf absolute Reinheit im Inhalt – keine Widersprüche, keine Verunreinigungen, keine Täuschung. Die Erinnerung, von der zuvor die Rede war, kommt aus einer Quelle, die vollkommen ist – nicht nur in der Form, sondern auch im Zweck. Wer sich dieser Quelle nähert, nähert sich also nicht irgendeinem Text, sondern etwas, das in seinem Ursprung klar, rein und erhaben bleibt. |
| 80:15 | بأيدى سفرةIn Händen von Botschaftern Die Schriftblätter befinden sich „in Händen von Überbringern“ – wörtlich von jenen, die reisen, weitertragen, übermitteln. Das arabische Wort سفرة verweist auf Bewegung und Vermittlung: Es sind jene, die zwischen der Quelle und den Empfängern stehen. Ob es sich um Engel handelt oder Menschen mit einer übermittelnden Rolle – bleibt offen. Entscheidend ist die Funktion: Die Botschaft wird bewusst weitergegeben. Die Hände stehen symbolisch für Treue in der Übertragung. Der Inhalt wird nicht verzerrt, sondern weitergereicht – von einer Instanz, die nicht für sich spricht, sondern für eine höhere Ordnung. Das unterstreicht die Reinheit und Absicht der Offenbarung: Sie wurde nicht zufällig verbreitet, sondern durch bewahrende Übermittlung gezielt an den Menschen herangebracht. |
| 80:16 | كرام بررةDie edel, redlich sind Die Beschreibung dieser Überbringenden wird nun ergänzt: Sie sind „edel, redlich“. Das zeigt ihre Vertrauenswürdigkeit – nicht nur in ihrer Rolle, sondern auch in ihrem Wesen. Ihre Aufgabe ist es nicht nur, die Botschaft weiterzutragen, sondern sie mit Würde und Aufrichtigkeit zu bewahren. Sie stehen für Integrität – unabhängig davon, ob es sich um Engel oder ausgewählte Menschen handelt. Edel steht für Erhabenheit, Reinheit der Absicht und geistige Größe. Redlich meint Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit und moralische Geradlinigkeit. In dieser Kombination wird klar: Die Erinnerung, die in den vorherigen Versen beschrieben wurde, ist nicht nur inhaltlich rein, sondern wird auch durch zuverlässige Hände bewahrt. Die Kette ihrer Übermittlung ist so glaubwürdig wie ihr Ursprung. |
| 80:17 | قتل الإنسن ما أكفرهGetötet ist der Mensch, wie er ableugnete Nun wechselt der Ton der Sure – von der Beschreibung der Botschaft und ihrer Übermittlung hin zu einem klaren Urteil: Der Mensch, der diese Wahrheit ablehnt, wird als „getötet“ bezeichnet. Diese Aussage ist kein physisches Urteil, sondern eine spirituelle Zustandsbeschreibung. Wer die Wahrheit, die so klar und rein übermittelt wurde, dennoch leugnet, steht innerlich außerhalb des Lebens – getrennt von Sinn, Einsicht und Richtung. Die Ableugnung ist hier nicht bloß Zweifel, sondern ein aktives Zurückweisen. Der Mensch wird nicht wegen Unwissenheit getadelt, sondern weil er sich bewusst gegen das wendet, was ihm deutlich und glaubwürdig dargelegt wurde. Der Ausdruck „getötet“ beschreibt den inneren Verlust – das geistige Auslöschen der Verbindung zur Quelle der Wahrheit. |
| 80:18 | من أى شىء خلقهAus was hat er ihn erschaffen? Die Frage richtet den Blick zurück zum Ursprung des Menschen. Nachdem zuvor das Verhalten des Leugnenden verurteilt wurde, folgt nun eine Erinnerung an seine Entstehung: „Aus was hat er ihn erschaffen?“ – eine Frage, die zur Demut aufruft. Der Mensch, der sich über die Wahrheit erhebt, wird daran erinnert, dass er selbst aus etwas Einfachem, Formlosem entstanden ist. Die Formulierung fordert dazu auf, die eigene Herkunft nicht zu vergessen. Wer seine Ursprünge kennt, erkennt auch seine Begrenztheit. Die Frage ist nicht rhetorisch, sondern stellt die Diskrepanz bloß: Wie kann jemand, der selbst erschaffen wurde, sich über den Schöpfer und dessen Botschaft erheben? Das bewusste Erinnern an den eigenen Anfang ist der erste Schritt zurück zur Einsicht. |
| 80:19 | من نطفة خلقه فقدرهAus einem Tropfen erschuf er ihn und bestimmte dann sein Maß Die Antwort auf die vorherige Frage wird nun direkt gegeben – klar und konkret: Der Mensch entstand aus einem Tropfen. Damit ist seine biologische Herkunft benannt: unscheinbar, klein, ohne Macht. Doch genau aus diesem geringen Anfang erschuf Gott ihn und „bestimmte dann sein Maß“. Das bedeutet: Der Mensch ist nicht zufällig gewachsen, sondern gezielt geformt – mit bestimmten Fähigkeiten, Grenzen und Lebensspanne. Diese doppelte Aussage betont sowohl die Demut als auch die Würde: Der Ursprung ist niedrig, doch die Gestaltung ist präzise. Jeder Mensch ist Teil eines bewussten Plans – körperlich, geistig und existenziell begrenzt. Die Erinnerung daran richtet sich gegen jegliche Überheblichkeit. Wer seine Herkunft und sein Maß erkennt, versteht, dass Leugnung keinen Platz hat – sondern Einsicht und Dankbarkeit. |
| 80:20 | ثم السبيل يسرهDanach erleichterte er ihm den Weg Nachdem der Ursprung des Menschen beschrieben wurde – aus einem Tropfen, mit genau bestimmtem Maß – folgt nun der Hinweis auf das, was nach der Erschaffung geschieht: Der Weg wird erleichtert. Das bedeutet: Der Mensch ist nicht nur passiv erschaffen, sondern aktiv begleitet. Der Ausdruck umfasst sowohl den physischen Lebensweg – Geburt, Entwicklung, Bewegung – als auch den inneren Weg: Erkenntnis, Entscheidungen, Zugang zur Wahrheit. Diese Erleichterung ist ein Zeichen göttlicher Fürsorge. Der Mensch erhält nicht nur einen Körper, sondern auch Möglichkeiten, sich zu orientieren, zu lernen, zu wachsen. Es gibt Hindernisse, aber der Zugang bleibt offen. Der Lebensweg ist kein Labyrinth ohne Ausweg, sondern geordnet – mit Hilfe, mit Hinweisen, mit Verantwortung. Das hebt die menschliche Würde, aber auch die Pflicht zur bewussten Entscheidung hervor. |
| 80:21 | ثم أماته فأقبرهDann lässt er ihn sterben und begraben Nach dem geebneten Weg folgt der nächste Abschnitt des menschlichen Daseins: Tod und Rückkehr zur Erde. Die Formulierung zeigt, dass auch das Ende Teil des Plans ist – nicht chaotisch, sondern geordnet. Sterben ist kein Verlassenwerden, sondern ein Schritt, der wie der Beginn bewusst gelenkt ist. Selbst das Begraben ist nicht willkürlich, sondern vorgesehen – eine Rückführung an den Ausgangspunkt. Diese Ordnung umfasst den gesamten Lebensbogen: Entstehung, Weg, Ende. Kein Abschnitt steht isoliert, alles gehört zur Struktur. Der Tod ist nicht Ziel, sondern Übergang – eingebettet in die göttliche Gestaltung. So wird auch im Sterben der Mensch nicht sich selbst überlassen, sondern bleibt innerhalb der göttlichen Fürsorge. Das verstärkt die Mahnung: Wer seinen Anfang erkennt, erkennt auch seine Rückkehr. |
| 80:22 | ثم إذا شاء أنشرهDann erweckt er ihn, wenn er will Der Ablauf des menschlichen Daseins endet nicht mit dem Tod – im Gegenteil: Der nächste Schritt ist die Wiedererweckung. Doch auch dieser Moment steht nicht unter menschlicher Kontrolle, sondern allein unter göttlichem Willen. Der Vers betont: Es geschieht, „wenn Er will“. Das bedeutet: Der Tod ist keine Auslöschung, sondern ein Übergang – und das Leben endet nicht in der Erde. Diese Aussage verbindet den Lebensbogen mit dem Jenseits. Die gleiche Macht, die den Menschen aus einem Tropfen erschuf, ist es, die ihn auch wieder hervorbringt – zu einem Zeitpunkt, der außerhalb menschlicher Berechnung liegt. Diese Wiedererweckung ist nicht hypothetisch, sondern Teil desselben Plans, derselben Ordnung, die auch Geburt und Tod umfasst. Wer diesen Zusammenhang erkennt, versteht: Das Leben ist nicht zufällig, sondern zielgerichtet – mit Verantwortung über das Diesseits hinaus. |
| 80:23 | كلا لما يقض ما أمرهNein! Er erledigte doch nicht, was er ihm befahl Mit diesem Einwurf wird die Linie unterbrochen: „Nein!“ – eine Korrektur, eine Rückführung auf das, was tatsächlich geschehen ist. Der Mensch, dessen Entstehung, Weg, Tod und Auferweckung beschrieben wurde, hat seine Aufgabe nicht erfüllt. Die Formulierung zeigt: Trotz all der göttlichen Fürsorge, der geebneten Wege und der klaren Ordnung verweigerte er sich dem, was ihm anvertraut wurde. Das „Erledigen“ ist nicht mechanisch gemeint, sondern zielgerichtet: Das Leben war nicht bloß biologisch zu durchlaufen, sondern trug eine Verantwortung in sich. Doch der Mensch – oder besser: der Leugnende – nutzte diese Gegebenheiten nicht zum Gedenken, nicht zur Läuterung. Die Aussage ist keine Überraschung, sondern die logische Konsequenz des vorangegangenen Verhaltens. Der göttliche Plan war vollkommen – die Verfehlung lag beim Menschen selbst. |
| 80:24 | فلينظر الإنسن إلى طعامهDann soll der Mensch auf seine Speise schauen Nach dem klaren Hinweis auf die menschliche Verfehlung wird der Blick nun auf etwas Konkretes und Alltägliches gelenkt: die Speise. Es ist ein einfacher, aber tiefgründiger Aufruf zur Reflexion. Wer seine Herkunft und Verantwortung vergessen hat, soll an etwas erinnern, das ihn täglich begleitet – Nahrung. Doch nicht oberflächlich, sondern mit innerer Aufmerksamkeit: „soll schauen“ bedeutet, erkennen, begreifen, bedenken. Die Speise ist nicht bloß Produkt, sondern Ergebnis einer komplexen, göttlich gesteuerten Ordnung. Alles, was der Mensch konsumiert, ist eingebettet in Kreisläufe von Wasser, Erde, Licht und Zeit. Durch den Blick auf die Nahrung wird er an seine Abhängigkeit erinnert – und daran, dass selbst das Selbstverständlichste Teil einer fein abgestimmten Versorgung ist. Wer darüber nachdenkt, wird zur Demut geführt. |
| 80:25 | أنا صببنا الماء صباGewiss, wir gossen das Wasser in Strömen Die Aufforderung, über die Speise nachzudenken, wird nun in ihre Ursprünge zurückverfolgt. Wasser – Ursprung allen Lebens – wird als erste Station genannt. Es ist nicht nur ein natürliches Element, sondern ein bewusster Teil der göttlichen Versorgung: „in Strömen gegossen“ – das Bild zeigt Überfluss, Bewegung und Kontrolle zugleich. Es geschieht nicht zufällig, sondern gezielt. Durch die Formulierung wird deutlich: Diese Lebensquelle steht nicht unter menschlicher Verfügung. Der Mensch nutzt sie, aber er erschafft sie nicht. Die Versorgung beginnt mit etwas, das über ihn hinausgeht. Und das ist nicht einmalig, sondern regelmäßig, zyklisch – durch Regen, Flüsse, Quellen. Wer die Speise verstehen will, muss begreifen, wo ihr Ursprung liegt: im Wirken einer Macht, die gibt, ohne aufzurechnen – aber auch fordern darf. |
| 80:26 | ثم شققنا الأرض شقاDann brachten wir die Erde mit Kraft auseinander Auf das herabströmende Wasser folgt die nächste Stufe der Versorgung: Die Erde wird „mit Kraft auseinandergebracht“. Es handelt sich um einen aktiven Eingriff – nicht nur ein Aufbrechen, sondern ein gezieltes Öffnen des Bodens, damit er empfangen, aufnehmen und hervorbringen kann. Die Erde erscheint nicht als passives Element, sondern als Teil eines bewusst gesteuerten Prozesses. Die Kraft betont, dass das, was folgt – Wachstum, Ernte, Nahrung – nicht selbstverständlich ist. Es ist das Ergebnis von Einwirkung, Durchdringung, Bewegung. Regen allein genügt nicht; auch die Erde muss vorbereitet, geöffnet werden. Dieses Zusammenspiel von Wasser und Boden, Bewegung und Fruchtbarkeit zeigt eine Ordnung, die sich nicht dem Menschen unterwirft, aber ihm dient – als Zeichen für die Größe und Weisheit dessen, der sie eingerichtet hat. |
| 80:27 | فأنبتنا فيها حباDarauf ließen wir in ihr Korn sprießen Nachdem Wasser gesandt und die Erde geöffnet wurde, folgt die sichtbare Frucht: Korn beginnt zu sprießen. Dies ist kein zufälliges Wachstum, sondern das Ergebnis einer abgestimmten Abfolge – Ursache und Wirkung, bewusst gelenkt. Korn steht exemplarisch für Nahrung: etwas, das nährt, lagert, verarbeitet werden kann – Grundlage des menschlichen Lebens. Das „Sprießen“ verweist auf Lebendigkeit, auf Kontinuität. Die Erde bleibt nicht leer, sie reagiert auf Wasser und Öffnung mit Ertrag. Doch dieser Ertrag wird nicht vom Menschen erzwungen – er ist gegeben. Der Mensch kann säen, doch das Hervorbringen bleibt außerhalb seiner Macht. Wer das Korn sieht, sieht nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern einen Teil des göttlichen Versorgungskreislaufs – sichtbar gemacht aus dem Unsichtbaren. |
| 80:28 | وعنبا وقضباUnd Reben und Sträucher Die Liste der hervorgebrachten Nahrung erweitert sich: Zu Korn treten nun Reben und Sträucher hinzu – also Früchte, die nicht nur nähren, sondern auch Vielfalt und Genuss symbolisieren. Reben stehen für Weintrauben, Sträucher für wild wachsende oder kultivierbare Pflanzen. Damit wird deutlich: Die göttliche Versorgung ist nicht einseitig, sondern reich, abwechslungsreich und fein abgestimmt auf die Bedürfnisse des Menschen. Diese Vielfalt ist nicht nur funktional, sondern spricht auch das Empfinden an: Geschmack, Farbe, Struktur. Sie zeigt, dass das Leben nicht nur auf Überleben reduziert ist, sondern auf ein ausgewogenes Miteinander von Nutzen und Schönheit. Die Erde bringt nicht nur das Notwendige, sondern auch das Erfreuliche hervor – als Ausdruck einer umfassenden Fürsorge. |
| 80:29 | وزيتونا ونخلاOlivenbäume und Palmen Die Aufzählung setzt sich fort – diesmal mit besonders symbolträchtigen Pflanzen: Olivenbäume und Palmen. Beide stehen nicht nur für Nahrung, sondern auch für Kultur, Geschichte und Stabilität. Der Olivenbaum ist langlebig, genügsam und liefert Öl – ein Grundnahrungsmittel mit heilender und nährender Wirkung. Die Palme, besonders die Dattelpalme, bietet Früchte mit hoher Energiedichte und wächst unter extremen Bedingungen – ein Sinnbild für Versorgung selbst in widriger Umgebung. Diese Pflanzen sind nicht zufällig ausgewählt. Sie verbinden Ertrag mit Beständigkeit, Nutzen mit Schönheit, Einfachheit mit Überfluss. Auch sie entspringen demselben Kreislauf aus Wasser, Erde und göttlicher Führung. Wer die Olive und die Palme betrachtet, erkennt darin nicht nur Versorgung, sondern Zeichen – Spuren einer Ordnung, die dem Menschen Gutes will und ihn gleichzeitig an seine Verantwortung erinnert. |
| 80:30 | وحدائق غلباUnd Dichtbewachsene Gärten Die Aufzählung kulminiert in einem umfassenden Bild: dichte, lebendige Gärten. Hier ist nicht mehr nur von einzelnen Pflanzen die Rede, sondern von einem vollständig entwickelten Lebensraum – vielfältig, übergreifend, geordnet und fruchtbar. „Dichtbewachsen“ verweist auf Fülle, auf Reife, auf ein natürliches Gleichgewicht. Nichts ist leer, alles trägt. Diese Gärten zeigen das Zusammenspiel aller vorher genannten Elemente – Wasser, Erde, Samen, Licht. Sie sind das sichtbare Ergebnis eines Systems, das nicht vom Menschen entworfen wurde, aber ihm dient. Die Gärten symbolisieren mehr als Versorgung: Sie stehen für Lebensraum, Sicherheit, Schönheit und Dauerhaftigkeit – und erinnern zugleich an das jenseitige Ideal, das in der Sprache des Quran oft ebenfalls als „Garten“ beschrieben wird. |
| 80:31 | وفكهة وأباObst- und Grassorten Zum Abschluss der Aufzählung werden Obst- und Grassorten genannt – als Zusammenfassung und gleichzeitige Erweiterung. Obst steht für Vielfalt, Farbe, Geschmack, Genuss. Es ist nicht lebensnotwendig wie Korn oder Wasser, aber Ausdruck göttlicher Gunst. Gras hingegen ist schlicht, genügsam und bildet die Grundlage für das Weiden der Tiere – ein entscheidender Bestandteil des gesamten Versorgungssystems. Durch diese beiden Begriffe wird die Versorgung vollständig: für den Menschen wie auch für das Vieh. Nichts fehlt. Vom Genussmittel bis zur Grundlage tierischer Nahrung ist alles bedacht. Die Erde gibt nicht nur dem Menschen, sondern auch dem, was mit ihm lebt. Damit schließt sich der Kreis zur Aussage aus 79:33: „Als Nutznießung für euch und euer Vieh.“ Die Ordnung der Schöpfung ist umfassend – funktional, schön und gerecht. |
| 80:32 | متعا لكم ولأنعمكمAls Nutznießung für euch und euer Vieh Nach der detaillierten Aufzählung von Wasser, Pflanzen und Früchten wird nun ihr Zweck zusammengefasst: Es ist eine Nutznießung – für den Menschen und sein Vieh. Alles, was zuvor beschrieben wurde, ist nicht Selbstzweck, sondern Teil eines abgestimmten Systems der Versorgung. Die Formulierung schließt den Menschen nicht als Einzelwesen ein, sondern als Teil einer größeren Ordnung, in der auch die Tiere ihren Platz haben. Diese Aussage zeigt: Die göttliche Versorgung berücksichtigt Bedürfnisse, Lebensrhythmen und Abhängigkeiten. Es ist nicht bloß ein Überleben, sondern ein Leben in Zusammenhang – mit Nahrung, mit Tieren, mit Umwelt. Die Nutznießung ist nicht gleichbedeutend mit Aneignung, sondern mit verantwortungsvoller Nutzung. Wer isst, lebt in einem Netz von Gaben – und wird dadurch erinnert: Versorgung ist ein Akt der Fürsorge, aber auch ein Ruf zur Einsicht. |
| 80:33 | فإذا جاءت الصاخةWenn aber das Dröhnende kommt Nach der Beschreibung des irdischen Versorgungssystems folgt ein abrupter Übergang: Das „Dröhnende“ kommt – eine gewaltige Umwälzung. Das Wort trägt Laut, Erschütterung, Überwältigung in sich. Es unterbricht die alltägliche Ordnung und markiert den Moment, an dem das Diesseits aufhört, stabil zu sein. Alles, was bis hierhin aufgebaut, gewachsen und versorgt wurde, wird nun überschattet von einer Macht, die nicht mehr Teil der irdischen Abläufe ist. Dieses Dröhnen ist keine bloße akustische Erscheinung, sondern ein Zeichen des Umschwungs – vom Leben zum Gericht, vom Sichtbaren zum endgültigen Erkennen. Es reißt den Menschen aus seiner Gewohnheit. Die vorher beschriebene Versorgung verliert an Bedeutung, nicht weil sie wertlos wäre, sondern weil sie immer auf etwas Größeres hingewiesen hat – und dieses Größere tritt jetzt mit voller Wucht hervor. |
| 80:34 | يوم يفر المرء من أخيهAn dem Tag, da flieht man vor seinem Bruder Der Moment der Erschütterung zeigt nun seine Wirkung: Am Tag des Dröhnenden flieht man – nicht vor Gefahr im üblichen Sinne, sondern vor dem, was man am tiefsten kennt. Der Bruder steht symbolisch für Nähe, Familie, Vertrautheit. Doch selbst diese Beziehung verliert in diesem Augenblick an Bedeutung. Das Vertrauen, das sonst selbstverständlich war, wird aufgehoben. Es zählt nicht mehr, wer man kennt, sondern wer man ist. Diese Flucht ist nicht äußere Bewegung, sondern Ausdruck innerer Überforderung. Der Mensch wird ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Beziehungen, Bindungen, Zugehörigkeit – all das, was im Diesseits Sicherheit gab, hilft hier nicht mehr. Das Dröhnende reißt alle Rollen, alle Masken weg. Es bleibt nur der Mensch vor seiner eigenen Wahrheit. Und selbst vom Bruder weicht er zurück – weil nun eine andere Verantwortung ruft. |
| 80:35 | وأمه وأبيهUnd seiner Mutter, seinem Vater Die Aufzählung geht weiter – und sie wird immer eindringlicher: Selbst vor der Mutter und dem Vater flieht man. Diese beiden stehen für Ursprung, Fürsorge und bedingungslose Nähe. Im Diesseits gelten sie als heilig – durch Geburt, Erziehung, Liebe. Doch am Tag des Dröhnenden lösen sich auch diese stärksten aller Bindungen auf. Die Erschütterung betrifft nicht nur Welt und Körper, sondern auch alle menschlichen Verhältnisse. Es ist nicht Undank oder Kälte, die diese Flucht verursacht – es ist der Moment, in dem jeder Mensch vollständig auf sich selbst gestellt ist. Kein Elternteil kann Verantwortung abnehmen, keine familiäre Nähe schützt vor dem, was kommt. Der Vers zeigt: Alles, was bisher als sicher galt, wird zurückgelassen. Was bleibt, ist die eigene Wahrheit – nackt, klar, unausweichlich. |
| 80:36 | وصحبته وبنيهSeiner Gefährtin und seinen Kindern Die letzte Stufe der menschlichen Nähe wird benannt: Gefährtin und Kinder – also die, mit denen man sein Leben, seine Liebe, seine Verantwortung geteilt hat. Gerade hier ist die emotionale Bindung am stärksten, doch auch diese zerfällt angesichts des kommenden Tages. Der Mensch flieht vor dem, wofür er lebte, das ihm am meisten bedeutete. Nicht aus Hass oder Schuld – sondern weil an diesem Tag nur noch eines zählt: die eigene Bilanz. Diese Aussage bringt die Botschaft auf den Punkt: Es gibt keine Vermittler mehr, keine Rückzugsräume, keine geteilte Verantwortung. Die Rolle als Partner, Vater oder Mutter schützt nicht vor der Begegnung mit der eigenen Wahrheit. Der Vers zeigt das Ende aller Ausflüchte – der Tag, an dem jeder allein steht, unabhängig davon, wie eng die Bande im Diesseits auch waren. |
| 80:37 | لكل امرئ منهم يومئذ شأن يغنيهFür jeden von ihnen gibt es an jenem Tag ein Anliegen, das ihm genügt Jetzt wird erklärt, warum alle Bindungen und Fluchten geschehen: Jeder Mensch ist an diesem Tag völlig mit sich selbst beschäftigt. Das „Anliegen, das ihm genügt“ bedeutet: Die Sorge um das eigene Ergebnis, das eigene Urteil, die eigene Bilanz ist so gewaltig, dass nichts anderes mehr Raum hat – keine Familie, keine Freundschaft, keine Erinnerung an das Diesseits. Diese Formulierung zeigt: Nicht Ablehnung ist der Grund für die Flucht, sondern völlige Überforderung. Jeder steht allein – nicht im physischen Sinn, sondern innerlich, konzentriert auf das, was unausweichlich vor ihm liegt. Die wichtigste Beziehung ist nicht mehr die zu anderen, sondern die zur eigenen Verantwortung. Die Stunde ist kein äußerliches Schauspiel, sondern der tiefste Moment der persönlichen Wahrheit. |
| 80:38 | وجوه يومئذ مسفرةGesichter sind an jenem Tag offengelegt Die Aussage, dass „Gesichter an jenem Tag offengelegt sind“, gewinnt durch den Bezug zu Vers 80:15 eine tiefere Bedeutung. Dort heißt es, dass die Schrift „in Händen von Botschaftern“ liegt – das Wort سفرة stammt wie مُسْفِرَة aus derselben Wurzel und trägt die Bedeutung offenlegen, hervorbringen, enthüllen. Die Verbindung ist klar: In der ersten Hälfte der Sure wird die Wahrheit offenbart – durch gereinigte, emporgelagerte Schrift, übertragen durch Treue überbringende. Am Ende der Sure wird deutlich, dass sich diese Wahrheit nun in den Gesichtern der Menschen widerspiegelt. Die Botschaft wurde offenbart – jetzt wird der Mensch offenbar. Es ist ein vollständiger Kreis: Die Schrift wird enthüllt → der Mensch hört → entscheidet → und am Tag des Dröhnenden zeigt sein Gesicht, was in ihm war. Das Gesicht wird zur Offenbarung des inneren Zustands – genau wie zuvor die Schrift die Offenbarung des göttlichen Willens war. Keine Maske bleibt, kein Spiel – nur Offenlegung. Wahrheiten treten zutage, nicht nur in Worten, sondern im Ausdruck des Menschen selbst. |
| 80:39 | ضاحكة مستبشرةDie voller Zuversicht lachen Auf die Offenlegung folgt die Offenbarung des inneren Zustands – bei jenen, deren Gesichter nun „voller Zuversicht lachen“. Dieses Lachen ist kein Ausdruck von Leichtsinn, sondern von innerer Erleichterung und tiefer Gewissheit. Es ist das Ergebnis eines Lebens, das die Erinnerung ernst nahm, das seine Verantwortung sah – und nun die Frucht davon erntet. Die Verbindung zur früheren Beschreibung der „Botschaft in gereinigten Schriftblättern“ wird hier sichtbar: Wer diese Botschaft aufnahm, sie ehrte und sich danach ausrichtete, dessen Antlitz zeigt jetzt die Folge. Nicht Worte allein zählen, sondern die Haltung, die aus ihnen erwuchs. Dieses Lächeln ist der sichtbare Ausdruck von innerem Frieden – offen, klar, befreit. |
| 80:40 | ووجوه يومئذ عليها غبرةUnd Gesichter, an jenem Tag bedeckt mit Betrübnis Nun folgt der Kontrast zu den leuchtenden Gesichtern: Auch diese Gesichter sind offen – aber sie tragen Betrübnis, Dunkelheit, Last. Es ist der Ausdruck innerer Leere, Verfehlung, Überforderung. Die Betrübnis ist nicht äußerlich aufgesetzt, sondern Ausdruck einer Wahrheit, die sich jetzt nicht mehr verbergen lässt. Das Gesicht spiegelt, was der Mensch aus der überbrachten Erinnerung gemacht hat: Ignoranz, Ablehnung, Verschieben, Täuschung – all das zeigt sich nun in seinem Ausdruck. Wie in 80:15 die gereinigten Blätter von reinen Händen überbracht wurden, so zeigen nun unreine Entscheidungen ihr wahres Gesicht. Was einst verborgen war, wird sichtbar – nicht, um zu bestrafen, sondern um Wahrheit ans Licht zu bringen. Jeder Mensch wird an diesem Tag das zeigen, was sich in ihm gebildet hat – in Licht oder in Schwere. |
| 80:41 | ترهقها قترةVon Beklemmung ausgezehrt Die Betrübnis der dunklen Gesichter wird nun weiter präzisiert: Sie sind „von Beklemmung ausgezehrt“. Es ist ein Zustand völliger innerer Erschöpfung – nicht körperlich, sondern seelisch. Die Beklemmung steht für Enge, Druck, Hoffnungslosigkeit. Es gibt keinen Ausweg, keine Ablenkung, keine Flucht mehr. Was bleibt, ist die Konfrontation mit dem eigenen Versäumnis. Dieses Ausgezehrtsein ist nicht Resultat äußerer Gewalt, sondern die Folge eines inneren Zustands, der sich über ein ganzes Leben hinweg aufgebaut hat. Die Entscheidung, die Erinnerung zu ignorieren, die Offenbarung zu übersehen, führt am Ende zu einem Gesicht, das keine Leichtigkeit mehr kennt – ausgehöhlt von dem, was es zurückgewiesen hat. Der Kontrast zu den lachenden, zuversichtlichen Gesichtern ist damit abgeschlossen: Während diese Leichtigkeit und Klarheit zeigen, sind jene, die sich verschlossen, in sich selbst zusammengefallen – erkennbar an der Dunkelheit, sichtbar an der Beklemmung, endgültig an der Auszehrung. |
| 80:42 | أولئك هم الكفرة الفجرةDiese sind die Ableugner, die Frevler Mit dieser abschließenden Aussage wird benannt, wer die Gesichter mit Dunkelheit und Beklemmung trägt: „die Ableugner, die Frevler“. Diese Bezeichnungen fassen den inneren Zustand zusammen, der sich in den vorherigen Versen aufgebaut hat. Es geht nicht um äußeres Verhalten allein, sondern um eine innere Haltung: Ableugnung trotz Klarheit, Übertreten trotz Erkenntnis. „Ableugner“ – jene, die die Erinnerung, die über reinen Händen überbracht wurde (80:15), verwarfen, ignorierten oder bewusst abwiesen. Der Aufbau und Sinn der gesamten Sure 80 (ʿAbasa):Die Sure entfaltet sich in drei Abschnitten: Zuerst ein mahnender Rückblick auf eine fehlerhafte Prioritätensetzung – der Blinde, der mit Aufrichtigkeit kam, wurde übersehen, während einem Desinteressierten Aufmerksamkeit galt. Dann folgt eine Erinnerung an den Ursprung und die Versorgung des Menschen – als Zeichen göttlicher Ordnung und Fürsorge. Schließlich schließt die Sure mit dem Bild des endgültigen Tages – der Offenlegung der Gesichter, der Einsicht in das eigene Leben und der unbestechlichen Einteilung zwischen Licht und Dunkelheit. Die zentrale Botschaft: Was zählt, ist nicht Rang, Beziehung oder äußere Wirkung, sondern innere Haltung. Die Wahrheit ist bereits überbracht, in reiner Form. Am Ende wird offenbar, wer sich ihr geöffnet und wer sich ihr verschlossen hat – sichtbar im Gesicht, spürbar in der Seele. |

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